Experten fordern schnellere Digitalisierung und sehen auch Kostenträger in der Pflicht
Münster, 25. Mai 2018. „Gerade Menschen mit vielen Krankheitsbildern haben einen Anspruch darauf, wirklich nur die Medikamente einzunehmen, die ihnen etwas nützen“. Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, fordert in Sachen Arzneimitteltherapiesicherheit die Lücke zwischen Anspruch und Realität endlich zu schließen. Deutschland brauche mehr Tempo bei der Digitalisierung und mehr Miteinander der medizinischen Berufsgruppen. „Pilotprojekte haben eindrucksvoll gezeigt, dass geregelte Programme eine hohe Wirksamkeit haben.“ Leider sei Deutschland noch weit davon entfernt, alle Leistungserbringer mit einzubeziehen und den elektronischen Medikationsplan zu nutzen, so die aus Münster stammende Bundestagsabgeordnete anlässlich der Abschlussveranstaltung zum Projekt InTherAKT.
„Die Verbesserung der Medikation um durchschnittlich 25 Prozent ist ein schöner gemeinsamer Erfolg, auf dem wir uns allerdings nicht ausruhen wollen“, zieht Projektleiter Prof. Jürgen Osterbrink Bilanz. Ein solches Vorgehen wie in Münster müsse in der Altenpflege Standard werden. Den Durchbruch in den gemeinsamen Bemühungen brachte eine neu entwickelte Online-Plattform. „Mit ihr konnten die an InTherAKT beteiligten 15 Hausärzte, 12 Apotheker und das Personal aus 10 Altenheimen passend zu ihrem Arbeitsalltag agieren und gleichzeitig erheblich viel Zeit und Dokumentationsaufwand sparen.“ Genau da müsse die Reise in der modernen Altersmedizin hingehen.
Münsters Bürgermeisterin Karin Reismann bedankt sich bei den Beteiligten: „Schon 2013 hat die Gesundheitskonferenz Münster Handlungsempfehlungen verabschiedet, um die Arzneimitteltherapiesicherheit in den örtlichen Altenheimen zu verbessern. Zur Erreichung der damals formulierten Ziele hat InTherAKT einen wichtigen Beitrag geleistet und sehr gute Ergebnisse erzielt.“
Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Münsters Altenheimbewohner nehmen durchschnittlich 12 Medikamente am Tag ein – in Einzelfällen weit über 20. „Wir wissen, dass rund 30 Prozent aller Krankenhauseinweisungen bei alten Menschen auf Arzneimittelunverträglichkeiten zurückzuführen sind. Gerade deshalb ist eine ständige kritische Überprüfung der Medikation bei so hohen Zahlen sehr wichtig“, appelliert Dr. Isabel Waltering. Die Pharmakologin von der Uni Münster benennt Wechselwirkungen, Doppelmedikationen, nicht-altersgerechte Arzneimittel und nicht mehr benötigte Medikamente als typische Problemfälle. „Nur wenn der Apotheker alle Verordnungen einsehen kann, kann er eine umfassende Risikobewertung vornehmen.“
Die mit der Auswertung betraute Professorin Maria Flamm von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg betont die Vorteile der Digitalisierung. „Bei dieser Vielzahl an Medikamenten verschafft die Online-Lösung die notwendige Übersicht und liefert aktuelles Wissen in Echtzeit. Mögliche Symptome einer Arzneimittelunverträglichkeit werden schnell erfasst und Problemlagen sofort ersichtlich.“ Generell müssten Wissenschaft und Praxis weiter daran arbeiten, die Grundlagen für eine noch bessere Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Apothekern und Pflegenden zu schaffen,, um so die Arzneimitteltherapiesicherheit in Altenheimen noch weiter zu verbessern.
Als Mann der Praxis betont Dr. Peter Münster wie wichtig auch für ihn die Online-Plattform war. Der niedergelassene Hausarzt war Projektteilnehmer und betreut rund 40 Bewohner in einem Altenheim. „Fast alle meine älteren Patienten sind bei mehreren Ärzten in Behandlung. Nur wenn ich als Hausarzt wie bei InTherAKT Zugriff auf alle Patientendaten und Verordnungen von Kollegen habe, kann ich gemeinsam mit dem Apotheker und auch den Pflegenden vor Ort einen Medikationsplan fachlich beurteilen. Das muss endlich Standard werden.“ Persönlich habe es ihn gefreut, dass er bei manchen Patienten bis zu fünf Medikamente weglassen konnte. „Das verbessert das Wohlbefinden und die Lebensqualität meiner Patienten erheblich.“
Einen Blick in die Zukunft wagt Kai Martens von der Firma Grünenthal, die das Versorgungsforschungsprojekt finanziell unterstützt hat. Der Geschäftsleiter Deutschland freut sich über die erfolgreiche Zusammenarbeit aller Beteiligter. „Nach diesem Erfolg muss es nun das Ziel sein, das Projekt in Deutschland flächendeckend zu verbreiten.“ Allerdings müssten dafür auch finanzielle Fragen beantwortet werden. „Ich denke hier an die Erstattungsfähigkeit des Zusatzaufwandes für die beteiligten Berufsgruppen und für die Software. Hier hoffen wir auch auf Unterstützung von Seiten der Kostenträger“.
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Experten aus Praxis, Wirtschaft und Politik diskutierten über die notwendigen gesundheitspolitischen Änderungen (v.l.n.r.): Prof. Maria Flamm, Maria Klein-Schmeink (MdB), Kai Martens, Karin Reismann, Prof. Jürgen Osterbrink, Isabel Waltering und Dr. Peter Münster